Thurgauer Zeitung vom 12. Januar 1952.
Transkription PM vom 18. November 2010.

Die Schreibung unserer Flurnamen.

Von Oskar Bandle.

Wer mit einem sprachlich einigermassen kritischen Blick noch die neuesten Auflagen der Siegfriedkarte studiert, der wird, auch wenn er kein Sprachkundiger ist, verblüfft sein über die Sprachverwirrung und den Mangel an Sprachgefühl, der sich da in den Namen zeigt. Echte Mundart und Schriftdeutsch, Schweizerdeutsch und Reichsdeutsch, Bodenständiges und Fremdes ist da in buntem, fröhlichem Durcheinander vermischt, ohne dass irgendeine feste Regel, irgendwelche einheitlichen Gesichtspunkte durchblicken würden. Nur einige Beispiele seien genannt! Neben einem Ifang, einem Muren, einem Rüti, die echt mundartlichen, in der ganzen deutschen Schweiz geltenden Vokale i, u, ü zeigen, stehen nicht weniger zahlreich die Einfang, Mauren, Reuti oder gar Reute, die sich mit ihren schriftdeutschen ei, au, eu von ihren bodenständigen Verwandten vornehm distanzieren. Die gerade bei uns im Thurgau so häufigen Büel und Hueb treten meist in den dem Schweizerdeutschen fremden Formen Bühl und Hub auf, woneben sich ein vereinzeltes Hüebli, das der allgemeinen Verhochdeutschungswut entging, wie verloren ausnimmt. Das bei uns doch überall gleich ausgesprochene Widen zeigt sich nicht nur in dieser Form, sondern auch als Wyden oder gar Wieden. Das geläufige Ergeten hat sich manchenorts in der zweiten Silbe mit einem zwar nicht einmal aus dem Althochdeutschen bekannten, aber doch offenbar besser hochdeutsch klingenden a geschmückt, so dass Ergeten und Ergaten regellos nebeneinander stehen. Manchem Namen wurde, um ihn der Schriftsprache „gemässer“ zu machen, ein h angefügt oder aufgeflickt, was bei Wörtern wie Loh, Weiher noch anginge, wenn es wenigstens konsequent durchgeführt wäre und nicht daneben auch noch Loo und Weier vorkämen. Bedenklicher wird die Sache schon bei Kohl- (in Kohlacker, Kohlhölzli), das ja gewöhnlich gar nichts mit dem bekannten Gartengewächs zu tun hat, wie die danebenstehenden Kolacker und andere zeigen.
     Ein vollständiges Chaos zeigt sich auch in der Wiedergabe spezifisch schweizerdeutscher Endungen. Sehr oft wird richtig Höchi, Breiti, Längi, Schwärzi geschrieben, gleich daneben heisst es aber mit einem aus der Schriftsprache bezogenen „-e“ Breite, Länge, Kürze oder gar Krümme, Tröckne und Ebne! Die echt schweizerische Endung -ere (in Chalchere, Leebere, Rütere) wird meistens durch das offenbar schriftdeutsch sein sollende -ern (Leebern, Reutern, Wildern) wiedergegeben. Ein besonderer Aberwille scheint von jeher gegen das gut schweizerische ch im Anfang eines Wortes vorhanden zu sein. Da wird fast überall k geschrieben, auch wenn der betreffende Name keine Entsprechung im Schriftdeutschen hat, wie Kapf, Kalbermoos, Käsli, Im Kehr, Kripfwiesen, Klupernhau (!) und so weiter. Im Wortinnern dagegen wird ch eher geduldet, und wenn nun ch in demselben Namen zweimal vorkommt, wird meistens das eine Mal k, das andere Mal ch geschrieben, wie zum Beispiel in Kälchler, Kalchmoos, Kalchofen oder dem ohnehin verfälschten Kalchrain, obwohl die Aussprache natürlich in beiden Fällen dieselbe ist. Solche Zwitterformen, die „weder Fisch noch Vogel“, weder schweizerdeutsch noch schriftdeutsch sind, wo echt Schweizerisches mit hochdeutschem Import im selben Namen vermischt ist, gehören zum traurigsten Kapitel unserer Kartennomenklatur. So unglaublich eine solche Sprachverwirrung scheinen mag, sie zeigt sich auf Schritt und Tritt auf unseren Karten. Schon ein flüchtiger Blick auf unsere Thurgauer Siegfriedblätter führt uns dies eindrücklich vor Augen. Teils handelt es sich um einfache Namen, meist mit schriftdeutschem Wortstamm und schweizerdeutscher Endung, wie Gütli, Hübli, Wiesli, Häusli, Häuslen, Häuslenen, Reutenen, Reuti, Kreuzi (!), teils sind es Zusammensetzungen, deren eines Glied schriftdeutsch, das andere mundartlich ist, wie zum Beispiel Aufgent, Buchhölzli, Götschenhäusi, Grünegg, Guggenbühl, Guggenhäusli, Hubschür, Krämershüsli, Kreuzbiffert, Mühlebuck, Rheinwies, Risihaus, Schneckenhüsli und so weiter. Solche Formen, die keineswegs Ausnahmen sind, müssen jedem sprachlich einigermassen Feinfühligen in den Augen und Ohren weh tun! Weniger schlimm sind Namen, denen wenigstens eine eindeutig schriftdeutsche Form gegeben wurde, wie Kuhhorn, Höherain, Stuhlerbühl, Scheuerwiesen, Scheuerweid, obwohl auch sie das sprachliche Bewusstsein eines Schweizers verletzen müssen.
     Woher kommt nun diese Unsicherheit, diese Halt- und Richtungslosigkeit in der sprachlichen Form unserer Namen, die sich ja nicht nur auf unseren Karten, sondern auch in Grundbüchern und Katasterverzeichnissen zeigt?
     Ein umfassendes, zum Teil heute noch gebrauchtes Katasterwerk wurde im Thurgau im Jahre 1850 angelegt. Die darin enthaltenen Namen haben ihre Form zum Teil damals neu erhalten, zum Teil wurden die Namenformen von früher, vor allem aus der Zeit der Helvetik, übernommen. Der Siegfriedatlas entstand in den siebziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Somit stammen die Namenformen dieser beiden Hauptwerke aus Zeiten, da man das Schweizerdeutsche noch nicht als schriftfähig betrachtetet, ja sogar, wie in der Helvetik ein Albrecht Rengger, geradezu seine Austilgung befürwortete, oder, wie in den achtziger Jahren die Gründer des Idiotikons, wenigstens resigniert seinen nahen Untergang prophezeite. Es ist deshalb begreiflich, dass man sich damals auch in der Schreibung der Orts- und Flurnamen dem allein seligmachenden Schriftdeutsch möglichst anpasste und sie nach Möglichkeit in eine schriftdeutsche Form zu bringen suchte. Wo die Bedeutung klar und sich im Hochdeutschen eine Entsprechung fand, bereitete dies keine grösseren Schwierigkeiten, die andern Namen suchte man eben so gut es ging zurechtzustutzen. Dass es dabei nicht selten zu Vergewaltigungen und Entstellungen kam, indem man einen nicht ohne weiteres verständlichen Namen einfach an etwas Bekanntes anglich, davon zeugen heute noch Flurnamen wie Buntwiese (Pünt), Haarbach (zu einem althochdeutschen horo „Schmutz“), Rauchwies (das nichts anderes als eine „ruuche“ Wiese ist), Vorloch (eigentlich Fooloch, zu Foo „Fuchs“), Eimer (das in der Mundart Aamer gesprochen wird und deshalb wohl zu amer „Zweikorn“ gehört), oder schliesslich das Fahrhaus oder Fährhaus bei Niederneunform, hinter dem nach der ortsüblichen Aussprache mit ee der ehemalige Feer „Fährmann“ steckt. Jedermann kennt ja auch die entstellten Ortsnamen Rheinklingen, Neunforn, Kalchrain, Degersheim und andere. Da aber auf der andern Seite doch gewisse Hemmungen gegen allzu krasse Verhochdeutschungen bestanden, und da in den meisten Fällen weder sprachliches Taktgefühl noch genügende Sorgfalt und Kenntnisse am Werke waren, entstand eben jener unglückliche Mischmasch, der, abgesehen von vereinzelten Verbesserungen, noch heute die Namen in unseren Güterverzeichnissen und auf unseren Plänen und Karten kennzeichnet.
     Heute aber erscheint ein solcher Zustand als unhaltbar. Unsere Mundart gilt uns jetzt als wertvolles Kulturgut und Nationaleigentum, das bewahrt werde kann, wenn man ihm nur die nötige Pflege angedeihen lässt. Damit ist aber auch der Zeitpunkt gekommen, die Schreibung unserer Namen, die einen wesentlichen Bestandteil unserer Mundart bilden und zu unserem kulturellen Besitz gehören, zu revidieren und sie von den sie verunstaltenden unschweizerischen, wirklich oder scheinbar schriftdeutschen Elementen anhand von klaren, einheitlichen Grundsätzen und Richtlinien zu reinigen. Der entscheidende Schritt in dieser Sache - wenigstens für die Flurnamen - ist denn auch bereits vor drei Jahren gemacht worden, indem das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement am 27. November 1948 „Weisungen für die Erhebung und Schreibweise der Lokalnamen bei Grundbuchvermessungen in der deutschsprachigen Schweiz“ herausgab. Die hier aufgestellten „Grundsätze und Regeln“ haben eine recht lange Vorgeschichte, die zeitweise nicht nur zwischen Vertretern des Vermessungswesens und Sprachwissenschaftern, sondern auch unter diesen selbst nicht wenig Staub aufgeworfen hat. Es war der Thurgauer Professor Albert Bachmann, der im Jahre 1916 anlässlich der Grundbuchvermessungen im Kanton Zürich das Problem erstmals zur Sprache brachte und für die Wahrung der wichtigsten schweizerischen Spracheigentümlichkeiten in der Namenschreibung eintrat. Leider fanden seine Grundsätze damals ausserhalb des Kantons Zürich keine Anerkennung, man liess den Dingen weiterhin ihren Lauf, bis die Sache in den dreissiger Jahren, namentlich durch eine Eingabe der allgemeinen Geschichtsforschenden Gesellschaft an das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement, wieder aufgegriffen wurde. Es setzte dann aber noch einen langen Kampf ab, bis die für alle Kantone verbindlichen und auch für die neue Landeskarte massgebenden Grundsätze von 1948 herausgegeben werden konnten. Da hier natürlich nicht auf Einzelheiten eingetreten werden kann, sei nur folgendes Prinzipielle festgehalten:
     Es gibt, grob gesagt, drei Möglichkeiten, das Problem der Namenschreibung zu betrachten. Einmal kann man es rein vom Standpunkt der Nützlichkeit aus betrachten, dann wird man sich zufrieden geben, wenn aus der Namenform die Aussprache einigermassen eindeutig hervorgeht. Die Verfechter dieses Standpunktes werden es also zum Beispiel als gleichgültig erachten, ob „Wies“ oder „Wis“ geschrieben wird, da ja kaum jemandem einfallen würde, das Wort mit Zwielaut auszusprechen. Dass eine solche Auffassung die Nomenklatur nicht aus ihrer bisherigen Verwirrung herausbringt, ist klar.
     Nun ist man aber teilweise auch ins andere Extrem verfallen, indem man von der Kartennomenklatur „die scharfe Ausprägung des Regionalen“, das heisst genaue Schreibung nach der ortsüblichen Aussprache forderte und damit die geographischen Karten zu Mundartkarten machen wollte. Eine solche Forderung sieht nicht nur an der Tatsache vorbei, dass die geographischen Karten nicht in erster Linie dem Sprachstudium dienen, sondern vor allem praktische Zwecke zu erfüllen haben, sondern sie würde auch das Chaos keineswegs beseitigen.
     Demnach ist es klar, dass nur die dritte Möglichkeit, nämlich ein gut schweizerischer Kompromiss zwischen Mundart und Schriftsprache, zu einer alle Teile des Volkes, alle Arten von Kartenbenützern befriedigenden Lösung führen kann. Es muss eine Sprachform gefunden werden, die ein klares, einfaches, einheitliches Namenbild ergibt, die einerseits auch für nicht sprachlich Interessierte geniessbar, anderseits aber doch auch Ausdruck der sprachlichen Wirklichkeit ist und unsere Namen als nationales Kulturgut in die richtige Beleuchtung stellt. Ein solcher vernünftiger Kompromiss wird von den eidgenössischen Grundsätzen und Regeln angestrebt und, abgesehen von einigen Einzelheiten, sicher auch in durchaus befriedigender Weise erreicht.
     So sollen also zum Beispiel die für das ganze Schweizerdeutsche charakteristischen Vokale i, u, ü künftig nicht mehr in die entsprechenden schriftdeutschen ei, au, eu umgemodelt, also stets Ifang, Hus, Muren, Rüti und so weiter geschrieben werden. Die ebenso charakteristischen Zwielaute ue und üe, die bisher offenbar nicht als „salonfähig“ betrachtet wurden, sollen nun ebenfalls zu ihrem Recht gelangen, indem Buech, Hueb, Büel und so weiter die vielen Buch, Hub, Bühl ersetzen sollen. Im Streben nach Konsequenz soll dementsprechend ie nur noch für den Zwielaut (in Riet, Giessen und so weiter) verwendet werden, während zum Beispiel das bisher so fest eingesessene, aber in der Mundart nicht begründete Wies, Wiesen durch das einfachere und natürlichere Wis, Wisen abgelöst werden soll. Auch dem bisher so verpönten ch soll nun endlich Recht widerfahren. Aus dem Kapf soll also ein Chapf, aus der Kripf eine Chripf, aus dem missgestalteten Kalch ganz natürlich Chalch werden. Bei den Endungen ist das allzu schwäbisch anmutende -le (in Aeule, Bächle) glücklicherweise schon lange verabschiedet worden, nun sollen aber auch -i (Breiti, Längi, Höchi, Ebni) und -eren- -len (Rüteren, Rötlen) in ihrer echten schweizerdeutschen Form geschrieben werden.
     Neben solchen gemeinschweizerdeutschen Erscheinungen werden aber auch noch die wichtigsten regionalen Besonderheiten berücksichtigt. Es wird wohl dem Kartenbenützer nicht allzuviel zugemutet, wenn er zum Beispiel einen Blosenbüel auf der Karte inskünftig in dieser Form und nicht mehr als Blasenbühl lesen muss, oder wenn das gut thurgauische Laa „Lehm“ nicht mehr mit dem ohnehin irreführenden Leim wiedergegeben wird. Die so hässlichen Zwitterformen werden selbstverständlich von der neuen Schreibweise nicht mehr geduldet. Auch Flurnamen, die einen bekannten Namen in sich enthalten, sollen da keine Ausnahme machen. Ist eine schlichte, natürliche Riwis oder Rywis nicht viel schöner als das Unding einer Rheinwies? Oder ein Buechemer Raa, der ein Gebiet an der Bucher Gemeindegrenze bezeichnet, nicht viel wirklichkeitsgetreuer als ein Buchenrain?
     Da das Schriftbild schlicht, einfach und natürlich sein soll, müssen auch unnötige Buchstaben, die es nur kompliziert und unleserlich machen - wie die beliebten dt (Bündten, Wadtwies) und th (in Thor, Thal) - verschwinden. Aus der Realität der mundartlichen Aussprache heraus sollen die Schreibformen geschaffen werden, sie sollen frei sein von allem Schreibstubenballast. Das will freilich nicht heissen, dass die Schreibweise rein mundartlich sein soll; denn wie gesagt, die neuen Regeln wollen einen Kompromiss zwischen Mundart und Schriftsprache darstellen. Deshalb sollen die Namen überall dort, wo es ohne Verunstaltung geht, der Schriftsprache und damit auch den traditionellen Schreibweisen angepasst werden. Wörter, die im Schweizerdeutschen durch eine Kleinigkeit, zum Beispiel eine Vokalnüance, vom Schriftdeutschen abweichen, dürfen ruhig schriftdeutsch wiedergegeben werden. Niemand wird sich einfallen lassen, ein mit offenem e gesprochenes Berg Bärg zu schreiben, das würde ja nur neue Verwirrung stiften. Ein Adjektiv, das einen Namen näher bestimmt, darf ohne weiteres in hochdeutscher Form erscheinen, wenn der betreffende Name nicht rein mundartlich ist. Die Frauenfelder Sportfreunde brauchen also nicht zu befürchten, dass ihre Kleine Allmend nun plötzlich zu einer Chlinen Allmend werden wird. Ebenso werden mundartliche Besonderheiten, die nur für ein kleines Gebiet gelten, nicht berücksichtigt. Wenn auch im Oberthurgau Wiese als Wees oder Wes ausgesprochen wird, so wird in den Flurnamen trotzdem Wis geschrieben. Eine Emdwis erscheint auf der Karte überall als Emdwis, auch wenn sie manchenorts in der Mundart Oendwis heisst. Und der Agger in der „Beggelizone“, das heisst im Oberthurgau, soll genau gleich geschrieben werden wie der unterthurgauische Acker!
     All dies dürfte zur Genüge beweisen, dass die eidgenössischen Grundsätze und Regeln eine vernünftige Lösung dieses tatsächlich sehr schwierigen Problems der Namenschreibung darstellen. Es ist klar, dass wir nicht einfach so wie bisher weiterkutschieren können. Die bisherigen Zustände sind unhaltbar und rufen dringend einer Erneuerung und Verbesserung. Auch für den Thurgau ist deshalb der Zeitpunkt gekommen, sich dem Neuen anzuschliessen. Es ist denn auch bereits damit begonnen worden, alle Flurnamen an Ort und Stelle phonetisch aufzunehmen, um dadurch eine sichere Grundlage für eine mundartgerechte Schreibung zu gewinnen. Hoffen wir, dass auch in unserem Kanton innert nützlicher Frist eine Nomenklaturkommission bestellt werde, die eine einheitliche Schreibung unserer Flurnamen nach den neuen Richtlinien gewährleistet!
     Es ist zwar begreiflich, wenn die neue Schreibweise heute noch - wie eben alles Neue - da und dort auf Widerstand stösst. Manch einer, der an die bisherige Schreibung gewohnt ist und sie täglich im amtlichen Verkehr braucht, mag die neue vielleicht trotz allem als allzu radikalen Bruch mit der Tradition empfinden. Zugegeben, die neuen Grundsätze und Regeln stellen gewisse Anforderungen an Umstellung und Gewöhnung. Aber erstens betreffen sie ja nur die Flurnamen, nicht aber die viel gebräuchlicheren Ortsnamen, und zweitens ist die Gewöhnung sicher nur eine Sache der Zeit. Sicher trauert heute niemand mehr dem alten „-weil“ und „-weilen“ (in Amrisweil, Dozweil, Münchweilen, Hüttweilen) nach, obwohl kaum fünfzig Jahre vergangen sind, seit es bei uns noch allgemein verbreitet war und von Professor Johannes Meyer leidenschaftlich gegen das neue „wil“, „wilen“ verteidigt wurde. Zudem sind die neuen Grundsätze durchaus nichts Unerhörtes. Sie berücksichtigen nicht nur die Wünsche einiger Gelehrter oder gar Mundartfanatiker, sondern sie dienen auch den praktischen Zwecken weit besser als die alten Schreibweisen, da sie diesen gegenüber eine Klärung, Vereinfachung und Vereinheitlichung bedeuten. Oder ist es etwa praktischer, ein Nebeneinander von einem halben Dutzend Formen (nämlich Reute, Reuti, Rüte, Rütte, Rüthi, Reuthe) statt des einzigen einfachen und unserer Sprache gemässen Rüti zu haben? Und wenn auch die Umstellung einige Schwierigkeiten bereiten sollte, sollen wir denn alles bloss vom Standpunkt der Nützlichkeit aus beurteilen, oder sollen wir nicht viel eher für die Pflege und Erhaltung eines uralten nationalen Kulturgutes ein kleines Opfer bringen?

O. B.