Thurgauer Zeitung vom 2. September 2004
Mundart versus Schriftdeutschvon Urs Müller Aus «Hochbüel» wird mit der neuen amtlichen Vermessung ein «Hoochbüül», aus «Holenstein» ein «Holestaa» und aus der «Laagrueb» wird trotz Einsprache keine «Lehmgrueb». Die Mühen, die ein Teil des Volkes damit hat, sind für Eugen Nyffenegger Ausdruck eines Generationenkonfliktes. Nicht nur in Zihlschlacht hat man seine liebe Mühe mit den Flurnamen, die im Zuge der neuen amtlichen Vermessung und Digitalisierung in den Plänen für das Grundbuch der Gemeinden Einzug halten (TZ von gestern). «Auf Grund der teilweisen, extremen neuen Namensgebung sind verschiedene Reklamationen bei der Gemeindeverwaltung eingegangen», heisst es im Mitteilungsblatt der Gemeinde Sirnach. Der Gemeinderat schreibt von Verfahrensunsicherheiten und hat einen Rekurs an das Departement für Inneres und Volkswirtschaft gerichtet. Er will unter anderem übertriebene Dehnungen vermeiden («Höchli» statt «Hööchli») und der Hinterthurgauer Mundart entsprechende Begriffe vorziehen («Breiti» statt «Braati»). Im Kemmental wehrte sich eine Frau gegen den Begriff «Laagrueb» und wollte stattdessen «Lehmgrueb» - erfolglos. Aus der Phonetik in die Schrift Die Zihlschlachter Frau Gemeindeammann Heidi Grau wähnt sich bei den neuen Begriffen sprachlich ins 18. Jahrhundert zurückgeworfen, wie sie gegenüber der TZ sagte. «Die Begriffe sind nicht neu und wir reden hier nicht von mittelalterlicher Sprache, sondern von Begriffen aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges», erklärt Eugen Nyffenegger, der Thurgauer Namenspezialist. Nyffenegger, Kantonsgeometer Ernst Rickenmann und eine Person aus der betroffenen Gemeinde bilden jeweils die Nomenklaturkommission, die über Flurnamenbezeichnungen entscheidet (siehe Box). Probleme dürfte es eigentlich nicht geben, weil im Thurgau die Flurnamen seit 1950 genaustens erfasst werden und der Gesetzesauftrag des Bundes klar sei: Es ist die mundartnahe Schreibweise verlangt. Aber ganz so einfach ist es dann in der Praxis doch nicht, die in phonetischer Schrift mit ihren 250 Zeichen festgehaltenen Begriffe ins Alphabet mit seinen 26 Buchstaben zu übertragen. «Allein vom <ä> zum <e> hat der Linguist zahlreiche Abstufungen», erklärt Ernst Rickenmann. Man muss sich also bei der Umsetzung entscheiden - und zieht die Ausspracheform vor: «Moos» wird zu «Mos», «Grat» zu «Groot» und «Breiti» zu «Braati». Auf Landeskarte berücksichtigt Was den einen dann «mittelalterlich» vorkommt, als «verwirrlich» empfunden und «extrem» bezeichnet wird, ist für Nyffenegger eine «moderne Schreibweise». Deren Ursprung gehe auf den Zweiten Weltkrieg zurück, als es in der Schweiz eine starke Bewegung gab, die sich vom Deutschen absetzen wollte. Die Umsetzung in die schweizerdeutsche Schreibweise verzögerte sich jedoch - im Thurgau bis heute. «Ausser auf der Landeskarte wurden die Begriffe sehr spät angepasst. So kommt es, dass viele der heutigen Flurnamen aus Vermessungsplänen der 1920er-Jahren stammen und schon so gesprochen werden, wie sie geschrieben sind.» Auf diese Weise habe sich eine Mischung aus Hochdeutsch und Mundart breit gemacht. Die «neuen» Namen sollen nun - wie vom Bund verlangt - mundartlich geprägt sein. Aus «Bühfelden» wird «Büfälde». Hoch- oder Schweizerdeutsch? Gegen die Mundartschrift habe es immer wieder Widerstände geben,
erklärt Nyffenegger. «Vor allem die Schreiber und die Schreibenden
sind diesbezüglich sehr konservativ. Sie orientieren sich an alten
Dokumenten, und so ist eine Sprachveränderung unter Umständen erst
nach 100 Jahren festzustellen.» Erstaunlich ist für Nyffenegger, dass
gerade die ältere Generation, die an der Schweizerdeutsch-Bewegung
beteiligt war, heute Hochdeutsch vorziehen würde. «Die Jugend hat mit
der mundartnahen Schreibung viel weniger Mühe.» Statt Gachnang ein «Gohchlinge»? Für die Flurnamen soll auf die mundartnahe Schreibweise zurückgegriffen werden. Wäre das auch für Ortsnamen denkbar? Könnte aus Gachnang beispielsweise ein «Gohchlinge» werden, wie die alten Thurgauer sagen? «Das wäre für uns nicht denkbar. Die Namen aus offiziellen Registern sind für uns tabu», erklärt Kantonsgeometer Ernst Rickenmann. Theoretisch wäre die Umbennung von Ortschaften zwar möglich, sie sei aber mit grossem Aufwand und hohen Kosten verbunden. Rickenmann erinnert an Yverdon, das sich 1981 zu «Yverdon-les-Bains» umtaufen liess. Aber dann kämen Post, Swisscom, Bundesämter und viele andere Stellen, für welche die Umbenennung mit Aufwand verbunden ist, und stellten Rechnung. Schliesslich muss die Erreichbarkeit sichergestellt sein und darf es nicht passieren, dass ein Ort einfach so aus Registern und Verzeichnissen «verschwindet». «Die Kosten für eine solche Umbenennung gehen dann rasch einmal in die Zehntausende von Franken», so der Kantonsgeometer Ernst Rickenmann. (umü.) |