Thurgauer Zeitung vom 14. August 2009
«Ich sage: Lieber spät als nie»
Von Marc Haltiner, Interview.
Regierungsrat Kaspar Schläpfer zieht die Notbremse. Nach massiver Kritik an den neuen Mundart-Flurnamen soll eine Arbeitsgruppe die Lage neu beurteilen.
Letzte Woche noch verteidigten Sie die neuen Flurnamen. Warum der plötzliche Meinungsumschwung?
Ich ging davon aus, dass es nur vereinzelte Kritik an den neuen Flurnamen gebe. Ich musste nach vielen Gesprächen aber feststellen, dass Kritik und Unbehagen gross sind. Das hat mich veranlasst, einen Marschhalt anzuordnen. Auch erfahrene Gemeindeammänner und Grundbuchverwalter erklärten mir, sie hätten Ärger und Probleme mit den Mundart-Begriffen.
Warum braucht es eine Arbeitsgruppe? Sie hätten alle 10'000 Namensänderungen rückgängig machen können.
Nein, die Geschichte ist nicht so einfach. So ist abzuklären, wer wofür zuständig ist und ob sich die Mundart-Namen allenfalls auf die Vermessung und das Grundbuch beschränken lassen. Die Arbeitsgruppe soll aber auch die bisherige Praxis überprüfen.
Die Arbeitsgruppe könnte aber alle Änderungen rückgängig machen.
Das kann ich mir nicht vorstellen, die Arbeitsgruppe kann aber alles abklären. Die Kosten werden eine Rolle spielen. Klar ist auch, dass sich der Thurgau an die Vorgaben des Bundes halten muss. Wir sind nicht völlig frei.
Hätten Sie nicht früher auf den Unmut der Bevölkerung reagieren müssen?
Das Amt für Geoinformation setzte die Arbeit fort, die der Regierungsrat ja schon vor 30 Jahren beschlossen hat. Es gab lange Zeit nur wenige kritische Stimmen. Ich realisierte erst im Lauf der letzten Wochen, dass die Verärgerung wesentlich grösser ist.
Warum soll die Arbeitsgruppe fast ein Jahr Zeit erhalten?
Ich weise die Nomenklaturkommission als Sofortmassnahme an, ihre Arbeit auszusetzen, bis der Bericht da ist. Es wird also vorerst keine weiteren Umbenennungen geben. Ich will der Arbeitsgruppe aber genügend Zeit geben, um die schwierigen Fragen in Ruhe zu prüfen.
Müssten Sie nicht mindestens alle Siedlungsnamen wieder in die ursprüngliche hochdeutsche Form zurückversetzen?
Auch dazu will ich mich noch nicht äussern. Es ist Aufgabe der Arbeitsgruppe, pragmatische Lösungen vorzuschlagen. Ich hoffe, dass wir den Zufriedenheitsgrad unserer Bevölkerung in dieser Frage erhöhen können.
Auch wenn der Eindruck bleibt, dass Sie mit Verzögerung reagieren.
Dieser Eindruck kann entstehen. Aber ich sage: Lieber spät als nie.
Welchen Einfluss haben die Gemeinden in der Arbeitsgruppe?
Die Gemeinden machen auf meinen Wunsch mit. Sie werden eine wichtige Rolle spielen, weil sie zum Beispiel für Wegweiser und Gebäudeadressen zuständig sind. Ich will eine gute Zusammenarbeit mit den Gemeinden.
Werden mit diesem Marschhalt nicht die bisherigen Arbeiten und auch das Namenbuch in Frage gestellt?
Nein, überhaupt nicht. Das Thurgauer Namenbuch wird anerkannt und ist eine wertvolle Arbeit. Die kritische Frage ist alleine, wie stark diese alten Mundart-Flurnamen in der Praxis eingesetzt werden sollen.
Gemeinden fordern Rückkehr zu alten Flurnamen
Lange hatten sich die Gemeinden nicht gegen die neuen Mundart-Flurnamen gewehrt. Gestern Morgen befasste sich der Vorstand des Verbandes der Thurgauer Gemeinden (VTG) nun aber mit dem umstrittenen Projekt. Die Gemeinden seien erfreut, dass Regierungsrat Kaspar Schläpfer einen Marschhalt beschlossen habe, sagt VTG-Präsident Roland Kuttruff. Der VTG erwarte, dass die Arbeitsgruppe jetzt alle rechtlichen Vorgaben und Möglichkeiten abkläre. Wo es möglich sei, müsse der Kanton zu den gebräuchlichen hochdeutschen Begriffen zurückkehren. Die Namen von Orten und Siedlungen auf Karten, Ortstafeln und Wegweisern müssten möglichst identisch sein. Gleicher Meinung ist auch CVP-Kantonsrat Thomas Merz-Abt, der mit seinem Vorstoss zu den Flurnamen Druck machte. Mindestens die Namen von Siedlungen und Höfen – geschätzte 3000 – müssten wieder die hochdeutschen Bezeichnungen erhalten. Merz-Abt kritisiert zudem den Fahrplan: Es sei zu spät, umstrittene Flurnamen erst im Lauf des nächsten Jahres zu ändern.
(hal) ThurgauerZeitung
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