Tages Anzeiger vom 2. September 2009, Seite
2.Wenn die Dialektwelle die Feuerwehr in die Irre führt.
Von Antonio Cortesi
Im Thurgau tobt ein Streit um die Schreibweise von Ortsnamen. Die Umbenennung auf Mundart ärgert die Bevölkerung. Und die Rettungsdienste, weil sie den Zielort nicht auf Anhieb finden.
Die Umtaufe der Ortsnamen ist ein Relikt der geistigen Landesverteidigung.
Der «Thurberg» ist ein beliebtes Ausflugsrestaurant oberhalb von Weinfelden. Wer die genauen Koordinaten über map.search.ch ausfindig macht, landet neuerdings aber in einem Aussenquartier von Bussnang, rund 15 Kilometer vom gewünschten Zielort entfernt. Der Grund: Der Internetsuchdienst hat die amtliche Umbenennung zur ursprünglichen Mundartversion «Tuurbärg» übernommen.
«Wichtiges Kulturgut erhalten»
Rund 10'000 Orts- und Flurnamen hat der Thurgau bereits mundartsnah angepasst. So wurde «Nollen» zu «Nolen», «Rotbühl» zu «Roopel» und – eines der skurrilsten Beispiele – «Matzenrein» zu «Maazerooa». Mit dem Rückgriff auf uralte Mundartbezeichnungen werde «ein wichtiges Kulturgut erhalten», begründet der zuständige Regierungsrat Kaspar Schläpfer die namenkundliche Radikalkur.
Er rechnete aber nicht mit dem Widerstand in der Bevölkerung, und der ist massiv. Die Umtaufe sei geschäftsschädigend, protestiert der «Thurberg»-Wirt, denn seinem über 100-jährigen Betrieb gehe der Wiedererkennungswert verloren. Empörte Leserbriefschreiber monieren, an die alten Schreibweisen könne sich nicht einmal die Generation der Grosseltern erinnern. Andere wiederum befürchten, dass die Feuerwehr oder die Sanität im Ernstfall zu spät einträfe, weil die Namen auf Karten, Wegweisern oder Strassenschildern nicht mit den GPS-Systemen übereinstimmten.
Forderung nach Übungsabbruch
An vorderster Front kämpft der Thurgauer CVP-Kantonsrat Thomas Merz gegen die «sinnlose Aktion». «Noch wäre der richtige Zeitpunkt für einen Abbruch der Übung», sagt er, «auch aus Kostengründen.» Die meisten Namen wurden nämlich erst auf den Landeskarten und den kantonalen Planungsunterlagen geändert, nicht aber auf Ortstafeln und Wegweisern. Merz schätzt, dass die konsequente Anpassung der Beschilderung rund drei Millionen Franken kosten würde.
Jetzt zieht Volkswirtschaftsdirektor Schläpfer die Notbremse. Er hat diese Woche eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die das weitere Vorgehen klären soll. Dabei gehe es vor allem um die Frage, ob bereits geänderte Namen wieder rückgängig gemacht werden könnten, sagt Departementssekretär Andreas Keller: «Eine heikle Sache, denn von den 10'000 Namen sind nur noch 500 nicht rechtskräftig festgesetzt.»
Weil für die Landeskarten der Bund zuständig ist, wird er ein Wort mitreden. Er war es denn auch, der 1970 die Vereinheitlichung der Schreibweise von Orts- und Flurnamen angeordnet und auf eine standardisierte Mundartschreibweise gepocht hatte. Seit Mitte letzten Jahres gilt diese Vorschrift allerdings nicht mehr.
Der Ursprung der namenkundlichen Dialektwelle geht sogar auf das Jahr 1938 zurück. Um sich von der Sprache Hitler-Deutschlands abzugrenzen, schrieb der Bundesrat den Kantonen vor, dass Orts- und Flurnamen von lokaler Bedeutung «in Anlehnung an die ortsübliche Aussprache» geschrieben werden sollten – eine Massnahme der geistigen Landesverteidigung.
Zürich weniger konsequent
Die Grenzkantone Thurgau und Schaffhausen befolgten diese Order stets mit viel grösserer Akribie als etwa der Kanton Zürich. Möglicherweise spielte dabei die geografische Nähe zu Deutschland eine Rolle. Andreas Keller bestreitet dies allerdings. Der Impuls für eine konsequente Mundartschreibweise sei primär vom zweibändigen Thurgauer Namensbuch ausgegangen – eine in Fachkreisen hochgelobte Publikation des einheimischen Sprachforschers Eugen
Nyffenegger.
Nicht betroffen vom Thurgauer Dialektstreit sind die Gemeindenamen. Deren schriftdeutsche Version ist im eidgenössischen Verzeichnis verbindlich festgelegt. Die Kantonshauptstadt wird also künftig nicht Frauefäld heissen.
(Tages-Anzeiger)
|